Aufbruch


Kultur, Kommerz und Kur sollen Bad Krozingen die Zukunft sichern


Noch vor Kurzem noch nicht mal offiziell “Stadt”, eher ein etwas aufgeblasenes Dorf beidseits einer stinkenden und röhrenden Durchfahrtspiste, hat sich Bad Krozingen auch städtebaulich auf den Weg gemacht zu einer veritablen Stadt. Angefangen mit der Umgestaltung des früher unwirtlichen zentralen „Lammplatzes“ und angrenzender Bahnhofs- und Gartenstraße, in der jetzt sogar ein „Bächle“ fließt (wie in Freiburg und dem benachbarten Faust-Städtchen Staufen) und einer, zugegeben, halbherzigen Beschränkung des Durchgangsverkehrs. An beiden Ortsanfängen entlang der ein- und ausfahrenden Bundesstraße signalisieren neu geschaffene Verkehrskreisel, dass hier ein anderes Verkehrsregiment beginnt - nicht länger Landrenn-, sondern Stadtschleichstrecke. Möglich geworden erst dank großräumiger Umgehung Bad Krozingens auf der stark befahrenen Bundesstraße 3 von Freiburg nach Basel. Im Innenstadtbereich ist die einst durchgängig asphaltierte Stadt-Runway jetzt material und optisch ansprechend aufgebrochen. Anstelle grauem Einheitsbelag bedecken soft rosa-gelb-graue im Rösselsprung verlegte Betonpflasterplatten die nun gehsteiglose Straßenfläche von Haus zu Haus. Schaffen statt öffentlichem Straßen-, mehr intimes Innenhofambiente. Wenngleich um einige weniger als zuvor, quälen sich auf der nunmehr 20 km/h Zone noch immer viel zu viele obstinate Durchfahrtbeharrer durch die Gute Stube der Bäderstadt. Die somit (noch) kein Pflaster ist für Flaneure. Gleichwohl ist ein Anfang gemacht; die so erstaunlich wie erfreulich rege bürgerbeteiligte Diskussion entwickelt sich anscheinend in Richtung finale Fußgängerzone.


Abseits dieser einstigen Urzell-Zone indes hat sich das vordem aschenputtlige Bad Krozingen beinahe über Nacht einem metropolitanen Facelifting unterzogen. Gemahnte vormals aus Richtung Freiburg kommende Autofahrer das Weichbild des Heilbads mit Tankstellen, gesichtslosen Gewerbebauten und Brachflächen eher an zerfaserten urban sprawl, formiert nun auf einem ehemals gammligen Parkplatz ein voluminöser Fünfgeschosser gemeinsam mit seinem angestammten Gegenüber, einer unter leuchtend farbigen Dachziegeln stattlichen Stadtvilla mit Restaurant, ein einladendes Entree - benannt in schönstem „wir können alles außer Hochdeutsch: „The Curved“. Alle Fassadenfronten schwungvoll gerundet, gegliedert von laubengangähnlichen, ringsumlaufenden Balkonen, ist dieses kürzlich bezogene Wohn- und Geschäftshaus gleichsam Signet für den urbanen Aufbruch der mittlerweile von 20.000 Bürgern bewohnten Kurstadt. Der Verputz in pastellenem Ocker und filigrane, rhythmisch wechselnd mal metallene, mal gläserne Balkonbrüstungen akzentuieren die Fassade; eine zurückgesetzte Attika nimmt dem für ein Städtchen dieser Größe doch recht massiven Bauwerk die Wucht - ein Willkommen, das neugierig macht auf mehr. 


Das wartet um die Ecke. Auf der Staufener Straße, dem Weg zum Bahnhof, das Gelände einer seit Jahrzehnten aufgelassenen Tankstelle, das mal vor sich hin rottete, mal ein in rostigen Containern hausendes Autohaus beherbergte; lang lag es verwaist. Endlich nahm sich seiner ein Investor an, arrondierte angrenzende Liegenschaften - machte dabei leider ein spätklassizistisches Ensemble 

platt - und klotzte vier monumentale Würfel auf den Blockrand und seinen Innenbereich. Wiewohl auch diese Neuschöpfungen Stadtcharakter behaupten - einen Schönheitswettbewerb hätten die Fünfstöcker nicht überstanden. Aber immerhin mildern die hier ebenfalls nach innen versetzten Attiken die brutale Wucht der Hauskolosse, verströmen ihre weißen, hartkantigen Fassaden mit gläsernen Balkonbrüstungen und großen Glasfronten im parterren Geschäftsbereich lichten Schimmer - freilich eher den renditekalter Investorenästhetik. 


Weiter auf dem Weg zum Bahnhof wartet eine nächste urbane Neuheit auf ihren bislang noch in statu ovo verharrenden Zwilling. Über einem nachgerade großstädtisch-großflächig verglasten, zwei Etagen hohen Sockelgeschoss wachsen weitere vier Stockwerke in den Krozinger Himmel, wobei die beiden oberen auch hier maßstabsverträglich rückspringen und mit einem schräg abfallenden Dachabschluß auf der Rückseite, sowie einer mittig über der Front diagonal aufsteigenden Mauerscheibe dem zweihüftigen Bau dynamischen Swing verpassen. Schade, dass das im straßenabgewandten „Hinterhof“ bislang nur als Baugrube zu ahnende Geschwister noch auf sich warten lässt — zusammen dürften sie ein reizvolles städtebauliches Ensemble bilden.


Das benachbarte Bahnhofsareal beamt das Kurstädtchen vollends in zeitgenössisches  Stadtambiente. Jahrzehntelang lag hier unwirtliches Niemandsland zwischen Ankommen und Fliehen. Dominiert von einem maßstabsprengenden Hochhaus, einer scheußlich-aschgrau-kotzgelben Entgleisung aus den Siebzigern, die, unbeeindruckt von der ästhetischen Flurbereinigung um sie herum, das Krozinger Entree bis dato mit dem faulen Zahn der Zeit verunstaltet. Doch die Moderne hält dagegen. Begonnen hat es mit der Aufhübschung der glas-stählern-steinernen Bahnhofsvitrine sowie einer gelungenen Neugestaltung des Freibereichs hinter den Gleisanlagen mit Omnibusbahnhof und Parkplätzen samt einer schwungvoll freitreppenartigen Unterführung zu Bahnsteigen und Kurpark. Das Nirwana von alten Bauten freigeräumt, gab es Raum für die große Geste. Ein stattlicher steingepflasterter Platz zwischen Bahnhof und angrenzenden Flachbauarkaden mit bodensprühenden Fontänen, Wassergraben und Beleuchtung wird an seiner Nordseite gefasst von einem flachen dreigeschossigen rasant roten Riegel, dem Geschäftsbau „Fritz-Hanser-Haus.“ Hinter ihm langgestreckt über die gesamte Blockbreite eine fünfgeschossige Gewerbe- und Kuturturbine: Neben Wohnungen und Geschäften bekommt die Stadt hier endlich eine angemessene Mediathek und sogar ein Kino - Kultur, Kommerz und Kur sollen das Elixier sein für die Zukunft. 


Krönend beglaubigt vom jüngst fertiggestellten „Bahnhofseck“ auf dem Gelände eines einstigen Billig-Kaufhauses in einem abgewirtschafteten Nachkriegs-Notbau am südlichen Platzrand. Könnte der Name darin eine gastronomische Gräueltat vermuten lassen, ist dieses dezente Bauwerk über fünf Etagen indes ein architektonisches Schmuckkästchen mit modischem Inhalt; leider - oder dankenswerterweise - abhängig vom Interessenhorizont der Betrachter. Denn wieder einmal ist es ein Modelabel, das an prominentem Ort residiert, und somit beiträgt zur globalen Schwemme dieses Genres. Andererseits sind es oft gerade sie, die Kreativität und Kapital verbünden zu designaffinem Drive. Die Modekette „Esprit“ leistet sich hier einen miniature Flagship-Store à la mode. Ausgebreitet nur, aber immerhin, im gesamten Erdgeschoss; nach außen hin präsent in einem weithin sichtbaren „Show-Window“ mit markantem Markensignet und distinkter Dekoration. Angemessen dem erlesenen Anspruch, die Gestaltung des Gebäudes. Die Front zur Bahnhofstraße ist filigran gegliedert von drei schlanken Stützen; asymmetrisch angeordnet, trägt eine scheinbar nur den unteren Arkadenüberhang, die beiden anderen ragen auf bis über die zweite Etage, um dort die Last zweier erkerartiger Auskragungen im dritten Geschoss aufzunehmen. Einer dieser Erker elegant schräg angeschnitten und leicht ausgestülpt, unterstreicht der Bau mit ihm die optische Engführung vom weiten Bahnhofs-Platz in die schlanke Bahnhofsstraße. Die vierte Etage etwas zurückgenommen, die fünfte mit einem Penthaus aus Fußgängerperspektive nur rudimentär wahrnehmbar, gibt sich das doch recht korpulente „Bahnhofseck“ zum Platz hin zurückhaltend, was die Rückseite mit drei übereinanderwuchtenden Balkonfluchten bedauerlicherweise etwas konterkariert. Gleichwohl: Diese weiße Gemme ist ein würdiger Schlussstein für das nunmehr vollendete Areal rings um den Bahnhof - im Verein mit dem beinahe großstädtischen Gesamt-Gewand endlich eine würdige Visitenkarte für den Anspruch eines auch um internationales Publikum buhlenden Heilbades.  

                                                      Werner Jacob